Donnerstag, 19. März 2015

"Was für eine Tort(o)ur!" - oder: Home is where the hotel room is





Liebe Weltenbummler und Teilzeitreisende,


wir schreiben den 15. März 2015, Sonntag, 23:00 Uhr, Hamburg Altona. Ich komme mit zwei Händen voll Gepäck an der meinigen Adresse an (aus Datenschutzgründen darf diese hier nicht genannt werden), suche leicht schwindelig meinen Nachnamen bei den Klingelschildern, hole mit dem Zeigefinger aus und klingele bei mir im ersten Stock. Anmerkung: Ich lebe seit einem Jahr glücklich in einer WG mit einem Klavier und einer Ukulele zusammen in unserem 2-Zimmer-Palast. Ich fühle mich sehr wohl da. Was ich damit sagen will: Ich habe gerade bei mir zu Hause geklingelt und gewartet, dass ich mir selber die Tür öffne. Blöd nur, dass ich draußen stand. Gott sei Dank mit Schlüssel und anscheinend mit einem erheblichen Sprung in der Schüssel. 

Aber ich glaube, meine kurzzeitige geistige Umnachtung kann nur einen plausiblen Grund haben. Nämlich die Tatsache, dass ich für knapp drei Monate fast täglich meine Behausung gewechselt habe. Keine Sorge, obdachlos bin ich ganz und gar nicht. Es ist ein akuter Zustand, der bei jedem zweiten Künstler mindestens einmal im Arbeitsleben auftritt. Darstellerdasein in einer Tourproduktion.

Um es den Kollegen, die an festen Theaterhäusern engagiert sind, und den anderen Normalsterblichen zu verbildlichen, was das Tourleben so mit sich bringt, hier ein kleiner Einblick in den ganz normalen, tagtäglichen Wahnsinn:

08:10 Uhr 
Wir Darsteller kommen ja meist nicht aus der gleichen Stadt, noch nicht einmal aus dem gleichen Bundesland. Nein, wir karren alle aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen an einen besagten Aufführungsort. Besagter Aufführungsort befindet sich meistens nicht um die Ecke, also heißt es "Morgenstund' hat Blei im Mund" und frisch um acht Uhr in die Morgen-Rush-Hour durch Hamburg gen sonstwo. Natürlich wird uns ein Wagen gestellt und natürlich fährt einer der Schauspieler. Vielleicht drei, gerne aber auch mal fünf Stunden bis zum Ziel. Alternativ kann man auch den Nachtbus nehmen und taufrisch etliche Stunden zu früh an Ort und Stelle sein. Kaffee nicht mit inbegriffen.

12:55 Uhr 
Wir sind gut durchgekommen, inklusive einer obligatorischen Pipi-Pause und jetzt, zwei Stunden vor Showbeginn, stehen wir pünktlich auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Soundcheck und Bühnenbesichtigung. Das dauert mit etwas Übung gute 15 Minuten. Dann kann man sich noch knappe eineinhalb Stunden langweilen. Die Damen schminken sich immerhin, um die Zeit zu überbrücken, die Herren schlagen Zeit tot, indem sie rauchen, essen, rauchen, Whats App Nachrichten versenden, Facebook nach dem Sinn des Lebens durchforsten, rauchen.

15:03 Uhr 
Vorstellungsbeginn. Aufregung pur. Man hat's ja erst 47 mal gespielt. Pluspunkt: Heute keine Doppelshow. Da kann man sein ganzes Herzblut auf einmal rauslassen.

17:10 Uhr 
Vorstellung vorbei, mit viel Spaß und einem tollen Publikum. Autogrammstunde und Fotos sind auch erledigt. Feierabend. Also fast. Jetzt noch abschminken, Kostüme ins Auto räumen und dieses zum nächsten Hotel auf der Übernachtungsliste fahren. Selbst.Verständlich.

18:35 Uhr 
Immernoch unterwegs und die obligatorische Frage in den Raum geworfen: Essen gehen oder etwas aus dem Supermarkt holen. Dabei sind mehrere Faktoren entscheidend:
1. Hat die Ortschaft, wo wir nächtigen genug Einwohner, um sich ein eigenes Esslokal zu leisten?
2. Wenn ja, welche internationale Küche wird kredenzt und hat man schon wieder Bock auf Pizza?
3. Wie viel Geld habe ich eigentlich noch?
Meistens entscheiden wir uns aufrgrund von Punkt 3 für die Supermarkt-Variante und es geht auf die Suche nach einem bestimmten Discounter, der sich wirklich lohnt, weil es da so tolle Fertigsalate gibt. 

19:40 Uhr 
Gewünschter Discounter gefunden. Leider nicht mehr genügend Salate da für eine anständige Salatparty. Leider kein Einzelfall, weil es wirklich tolle Fertigsalate sind. Naja, dann zur Abwechslung mal wieder ein Laugenbrötchen mit Kräuterquark, eine Banane, Kirschtomaten und Äpfel. Das hatte ich ja bestimmt schon zwei Tage nicht mehr gegessen... Und ich esse das wirklich gerne und nicht nur weil es handlich und Tour taugliche Nahrung ist. Aber heute gönne ich mir mal ausnahmsweise was. Eine Tafel Schoki und Studentenfutter. Sündentag!

20:14 Uhr 
Ankunft am Hotel und pünktlich zur Primetime die tägliche Diskussion, wer mit wem ins Doppelzimmer geht. Die Herren sind zu zweit und haben damit keine große Auswahlmöglichkeit. Es heißt wieder: Damenwahl. Es wird eine Konstellation schlussendlich gefunden, ein Zimmer zum Wohn-/Esszimmer erkoren und dann wird zusammen im Schlafanzug diniert. Groß auspacken lohnt ja sowieso nicht, man bleibt ja eh nur für eine Nacht. Es wird viel gelacht, geschwatzt, gegenseitig am Essen schnabuliert und über den Bachelor oder das Dschungelcamp diskutiert, was leise im Hintergrund mitläuft. Wie schön, dass wir alle so gesellig sind und uns so gut verstehen. Da wird so ziemlich alles mit Humor genommen und sich gegenseitig die Taschentücher gereicht, falls es dann doch mal reicht. Insider gibt es zuhauf, es wird im Gestern geschwelgt, man lässt das Heute Revue passieren und schmiedet Pläne für morgen. Hier und da ein Lied geträllert, weil wir ja nie genug von der Kunst kriegen können und weil wir uns und den Moment genießen wollen... Es schweißt schon sehr zusammen.

01:34 Uhr 
Es ist wieder mal spät geworden. Die letzten Nachteulen verlassen das Partyzimmer und lesen vielleicht noch ein Kapitel auf ihrem Kindle. Dann wird aber auch geschlafen. Schließlich geht die Reise morgen früh ja schon weiter. Auf, zur nächsten Vorstellung, an einem anderen Ort. Aber erstmal um halb zehn frühstücken. Wer weiß, vielleicht gibt es dieses Mal sogar ein Frühstücksei. Das wäre mal was!