Donnerstag, 14. April 2016

"Leer und gut" - oder: Wie eine Flasche mir teuer wurde

 
 


Liebe Wegwerfer und Behalterinnen,


"Money makes the world go round." Weiß jeder, ist klar. Wer es hat, hat die anderen bei den Eiern und wer es nicht hat, der hat am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig.
Immobilien, Fonds, Aktien, Gold. Geld hat viele Formen, ist wandel- und handelbar. Manche lagern ihr Geld auf Bankkonten, andere unter der Matratze. Ich lagere mein Geld in einer großen IKEA-Tüte auf dem Balkon.
Habe ich heute erst wieder festgestellt. Und mich hat es ebenso überrascht. Es ist schon erstaunlich, was man sich alles leisten kann, wenn man das ganze ungenutzte Potential seines Leerguts mal ausnutzt. 

Es läppert sich. Klar, wenn man sammelt, kommt viel zusammen und Kleinvieh macht schließlich auch Mist. Und als ich eine geschlagene Stunde den gesamten Inhalt meiner Tüte, Stück für Stück, Flasche für Flasche, einzeln und behutsam, in den Automaten stecke, wird mir langsam auch bewusst, dass ich mir heute mal etwas gönnen konnte. Ein schönes Gefühl, etwas einzuzahlen. Du schmeißt hunderte kleine Dinge rein und raus kommt ein Papierchen, von dem du dir etwas nettes aussuchen darfst. 

Ich bin schlecht im Schätzen. Spaßeshalber habe ich trotzdem vorher versucht, den exakten Betrag zu raten. Was soll ich sagen. Es war mehr. Immer gut. Niedrigere Erwartungen steigern die Freude über das noch positivere Ergebnis. Die Dame an der Kasse ist auch kurz irritiert, als sie mir noch etwas auszahlen muss, obwohl ich gefühlt das halbe Supermarkt-Sortiment auf dem Band habe. Django zahlt heute nicht. 

Vielleicht könnte man Pfandflaschen als alternative Währung anerkennen.
„Eine Kugel Vanilleeis, bitte.“ - „Macht 5 Pfand.“

Gut, es ist schon sehr unhandlich, das gebe ich zu. Ich selbst bin ja gerade auch mit Anhänger zur Rückgabe gefahren. Immer mit einer Zeltplane voller Pfandflaschen herum zu laufen ist nicht nur unpraktikabel, sondern sieht auch wenig schick aus.Wie Jungs ihr ganzes Leergut in die hinteren Hosentaschen quetschen wollen, bleibt auch sehr fraglich. Sitzt sich unbequem und außerdem wird man viel leichter beklaut, wenn das Flaschengut überall so offen rauslugt. Online Banking auch eher schwierig, sehe ich ein. Vielleicht ist die Idee noch etwas unausgereift. Vielleicht ist die Idee auch einfach wegwerflich. Von Umweltbewusstsein haben wir eh noch gar nicht gesprochen.

Alles, was ich damit eigentlich sagen will ist: Liebe Leute, das Geld liegt nicht auf der Straße. Es liegt auf dem Balkon, im Keller, unter der Spüle oder wo auch immer ihr eure Pfandflaschen zwischen parkt. Macht euch doch mal eine kleine Freude und führt euch von eurem Leergut aus. Ist alles schon mal gezahlt von euch selbst und ist alles nur Illusion, weil Pfand, ich weiß. Aber die Rechnung mal von ein paar Flaschen übernehmen zu lassen kommt zu selten vor und genau diese kleinen Momente sind oft unbezahlbar.







Dienstag, 9. Februar 2016

Gedrosseltes Internet, erdrosseltes Ich? - oder: "Nur noch 19 Tage, dann gibt's wieder LTE"

 

 

 

Liebe Facebook-Suchtende und Instagramler,


wir schreiben den 10. Februar 2016. Aschermittwoch, Beginn der Fastenzeit. Ich hatte kurzzeitig überlegt, für die diesjährigen vierzig Tage mal wieder auf Süßigkeiten zu verzichten, um es mir und meinen Hüften zu beweisen. Fand die Idee unoriginell und meine Hüften gerade eigentlich sogar mittel bis ok. Dann kam diese wohlbekannte und gefürchtete SMS vom Kundenservice. Und da habe ich entschieden, Internet zu fasten. Wie auch anders, mit eingeschränktem Datenvolumen?!
Dabei bin ich noch nicht mal der größte Internet-Junkie in dieser digitalen Welt! Ich könnte gut ohne WhatsApp, Facebook und Co. Ich will halt nicht!

Eigentlich müsste ich es mittlerweile besser wissen. Wenn mir mein schlaues Handy eine Datennutzungswarnung sendet, um mir nach soliden fünf Werktagen mitzuteilen, dass ich bereits die Hälfte meines Volumens versurft habe, müsste es mich weniger überraschen, dass mir kurze Zeit später komplett der Wind aus den Segeln genommen werden würde.
Dann passiert das, was immer passiert: SMS, "Lieber Kunde, bis Ende des Monats... bla bla bla..." Hass auf die Telekom und deren Knebelverträge, Zorn auf die undisziplinierte Youtube-Schau der letzten Tage und die Gewissheit, dass die nächsten zweieinhalb Wochen charakterbildend ausfallen dürften.
Geduld gehört leider nicht zu meinen ranghöchsten Tugenden. Dafür lässt mein ungebändigter Trotz jeden pubertierenden 14-Jährigen vor Neid erblassen, denn ich würde mein blödes Handy eher gegen die Wand schleudern, als der Telekom nochmal 4,99 EUR für das bisschen Highspeed in den gierigen Schlund zu stecken. Stattdessen lasse ich mich von dem "wird geladen"-Kreis minutenlang verhöhnen, bis der sich nach einer gefühlten Ewigkeit erbarmt und dann doch diese eine wichtige Email plus Inhalt heruntergeladen hat. Und die Tatsache, dass bei einer x-beliebigen Googlesuche eher der bildschirmschonende schwarze Hintergrund erscheint als ein Ergebnis, schont nicht gerade mein empfindsames Nervenkostüm.
Es ist ja nicht so, als wäre mir das noch nie passiert. Leider passiert das häufiger und schneller als gedacht. Leider hat es jedes Mal dieses Weißglut-Potenzial.
Aber: Man kommt in diesen abstinenten Tagen viel mehr zu sich und hat deutlich mehr Zeit für Dinge, die durch das ständige Touchscreen-Daumen-Wischen gut und gern weggescrollt werden. Steuererklärung vom letzten Jahr, Desktop aufräumen, Kühlschrank ausräumen, Kühlfach enteisen. Mal wieder dieses wirklich gute Buch von diesem bedeutenden Autor in die Hand nehmen. Lange Spaziergänge. In Gedanken schwelgen. Nicht erreichbar sein. Fasten. 

Es heißt doch: Man vermisst immer erst dann eine bestimmte Sache, wenn man sie nicht mehr hat. Ohne Internet? Ohne mich! Aber: Ohne ausreichendes Datenvolumen? Gerne ohne mich!
In Wirklichkeit ist es doch so, dass wir sowieso viel zu viel Zeit damit verbringen, in das Smartteil zu stieren. Obsessiv suchend nach Nichtigkeiten und ständig getrieben von Hektik. 

Dann lebe ich halt jetzt mal für den Rest des Monats hinter'm Mond. Vielleicht ist die Sicht von hier oben gar nicht so schlecht. 




Memo an mich: Nächsten Monat öffentliche HotSpots besser nutzen! Plus: Neo Magazin Royale nur mit elterlichem WLAN streamen!



Sonntag, 4. Oktober 2015

"Im Dirndlirium" - oder: Weil ich ein Mädla bin


Geschätzte Trachtenliebhaber,


Oktober. Seit fast zwei Wochen wird zümpftig auf der Wies'n in München geschunkelt und ein Prosit der Gemütlichkeit besungen. Während die alljährige Maaß-Rekord-Preissteigerung wieder mal ohne mich stattfindet, sitze ich hier am PC tippend und betrachte vom Sofa aus mein wunderschönes Dirndl, das ich nicht im Kleiderschrank gefangen halte, sondern zu jeder Manns und Fraus Bewunderung als eine Art Wandgemälde an einen Nagel gehängt, aufbewahre.
Ich hatte erst diesen Sommer mein Dirndl-Debüt. Ich muss sogar zu meiner Schande dazu sagen, dass ich als gebürtige Fränkin bis dato noch nie ein Dirndl besessen hatte. Da ich auch noch nie auf dem Oktoberfest zugegen war (noch ein Minuspunkt auf dem Bayernkonto) und ich weder in München wohne (wo Frau gerne im feschen Dirdl im Biergarten flaniert), noch in einer Blaskapelle spiele (Sorry, aber Jazz im Abendkleid ist mir da einfach lieber), hat sich das Thema Dirndl für mich nie erschlossen.
Dabei finde ich Dirndl unglaublich schön. Plus sie machen jede Frau (noch) schöner. Der A-Linien-Rock, der das Hüftgold erst richtig in Szene setzt, die Schnürung für eine (fast) echte Wespentaille und dann das Dekoltee. Da darf gerne hergezeigt werden, was Mama einem mitgegeben hat. In allen Farben des Regenbogens, mal länger, mal kürzer, mal zu kurz geschnitten. Dazu geschneggelte Haare oder einen schmucken Flechtzopf und ein Edelweiß auf's Haupt. Es ist einfach ein schöner Anblick, fesche Mädels im Dirndl.


Auf der Sandkerwa in Bamberg


Schon allein der Dirndlkauf. So stelle ich mir die Suche nach dem Brautkleid vor. Stundenlang wird jedes in Frage kommende Model probiert. Viel Zeit sollte man mitbringen, diese vielen Schichten zieht man ja nicht einfach so über. Wenn man dann aus der Kabine tritt, kann man eigentlich an der Reaktion der Shoppingbegleitung, der Verkäuferin und den anderen Leuten im Raum erkennen, ob es das eine für dich ist. Und wenn du dann dein Dirndl gefunden hast, werden diese Reaktionen in freier Wildbahn noch potenziert. So viele Bicke wie an diesem einen sonnigen Sandkerwa-Tag, der als „Day of Dirndlicious“ in meine habe ich noch nie geerntet. Ich glaube, es liegt an dem Wohlgefühl, das man ausstrahlt, wenn man im Dirndl steckt. Ein Gefühl mit hohem Suchtfaktor.

Ich blicke wieder auf mein Dirndl-Wandgemälde. „Du und ich. Wir sollten mal wieder unter Leute, stimmt's?“ Stillschweigende Zustimmung. „Gut. Dann schau' ich mal, wann der nächste Zug nach München fährt.“




Freitag, 11. September 2015

"Die Geschichte von Rotröckchen und dem bösen Lebkuchen" - oder: (K)ein winterlicher Einkauf im Spätsommer



Liebe Naschkatzen und Süßigkeitenvernichter,

 

es war einmal, an einem noch sehr warmen Tag im Spätaugust, ein rothaariges Mädchen, das Rotröckchen hieß. Sie lebte als freischaffende Künstlerin im fränkischen Hochland und reiste von Stadt zu Stadt, um die Menschen mit ihrem Spiel und Gesang zu unterhalten und dem Winter zu entfliehen, den sie so verabscheute. Sie zog, immer der Sonne folgend, wie die Zugvögel dort hin, wo es warm und wohlig war, dem Sommer entgegen.

Eines probenfreien Tages schlenderte sie durch die Straßen, beglückt über die vielen Sonnenstunden und die Sommerlaune der Menschen, als sie an einem aldidenten Supermarkt vorbei kam. "Hm...", dachte sich Rotröckchen, "ein wenig Hunger habe ich ja schon." Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz vor Mittag, die Uhrzeit, in der im fränkischen Hochland alle Menschen ihre Arbeit niederlegten und zum gemeinsamen Essen nach Hause gingen. Ihr Magen grummelte in appetitlicher Zustimmung und sie beschloss, sich zur Feier dieses wundervollen Sommertages einen riesigen Korb voller Köstlichkeiten zu kaufen. Schließlich kann man nie wissen, wann der Sommer vorbei war und außerdem könnte sie Großmutter noch ein paar YES-Törtchen und einen Tetrapack Rotwein mitbringen.
Beschwingt schlenderte Rotröckchen durch die Supermarktreihen und kaufte sich Bio-Tomaten, Salatgurke und Rapunzeln (die sie immer an ihre gute Freundin vom Schulaustausch erinnerten), einen abgepackten Käse vom Schaf aus dem Kühlregal und Wassermelone zum Nachtisch. "Jetzt noch die Sachen für die Großmutter", dachte sich Rotröckchen und biegte in den Süßwarengang ab. Und da sah sie es. Das Grauen in Tüten. Schön verpackt mit goldenen Sternen und in weihnachtlichem Rot. Lebkuchen, Zimtsterne, Spekulatius, Dominosteine und Stollen! Darüber ein Schild, ebenso in Rot plus Glitzersternen "Neu im Sortiment. Weihnachtsgebäck je 2,99 Euro". Rotröckchen konnte ihren Augen nicht trauen. Da stand sie mit ihrem leichten Sommerkleidchen, offenen Sandalen und Sonnenbrille im Haar. Das Sommerkind vor dem weihnachtlichen Schreckregal.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste zwar um den verfrühten Wahn mancher Leute, Lebkuchen schon Anfang Oktober zu naschen. Und auch sie mochte trotz Winterphobie zu dem ein oder anderen Plätzchen vor dem ersten Advent auch nicht Nein sagen. Aber doch nicht jetzt. Ende August. Bei den Temperaturen. Wenn es selbst ihr den Schweiß auf die Stirn treibt, sobald man die Haustür verlässt und zwei Schritte geht.
Übellaunig schnappte sich Rotröckchen eine Packung YES-Törtchen aus dem Regal, genau links neben den Weihnachtsleckereien und stapfte mit Unmut gekräuselten Lippen zu den Spirituosen. "Schnell noch den Rotwein und dann nichts wie weg hier.", schnaufte Rotröckchen. Raus ins Freie, wo es endlich wieder Sommer würde. Doch da sah sie schon die Glühweinflaschen, mit obligatorischem Weihnachtsmarkt-Cover, wohl präsentiert auf Augenhöhe. "Mir reicht's!", rief Rotröckchen und knallte das Einkaufskörbchen auf den Boden. "Wenn hier jetzt noch 'Last Christmas' gespielt wird, vergesse ich mich!" Sie griff nach dem Tetrapack mit Rotwein für Großmutter und einer Flasche Fairtrade Chardonnay für ihre Nerven und stürmte zur Kasse.
Sie stellte sich in die Reihe und betrachtete voller Ungeduld den Einkauf ihrer Vorgängerin. Eine etwas ältere Dame mit Wolfspelzapplikation an der Weste und Lebkuchen für 2,99 Euro im Korb. Rotröckchen grapschte hochatmig nach der ersten Chipstüte, die sie aus dem Aktionsstand neben der Kasse erreichen konnte. Es waren Rosmarinchips. "Perfekt.", dachte Rotröckchen triumphierend. "Das letzte Gewürz, das nach Winter schmeckt." Sie knallte der Kassiererin das Geld auf das Laufband, packte rasch alles zusammen und stolperte hektisch aus dem Supermarkt.
Auf dem Heimweg, hörte Rotröckchen zur Beruhigung "Summertime" auf ihrem iPod in Endlosschleife. Und nach ein paar Schlücken Wein und dem Geschmack von Rosmarinaroma kamen auch die sommerlichen Gedanken und ihr sonniges Gemüt langsam wieder zurück.

Und die Moral von der Geschicht': Lebkuchen im Spätsommer kauft man einfach nicht.






Dienstag, 1. September 2015

"Ein Sommernachtstraum" - oder: Hamburg im Sommer / Ein Nachruf




1. September. Der Sommer ist so langsam wohl offiziell vorbei. Ich schaue aus dem Fenster auf ein wolkiges Hamburg, das sich jede Minute in Regen mantelt und ich schwelge mit Wollsocken und Tee in Erinnerungen. An den Sommer, der sich sogar hier hoch oben im Norden ein, zwei mal hat blicken lassen.


Liebe Sonnenanbeter und Badenixen,


Hamburg, an irgendeinem historisch ereignisreichen Wochenende im Sommer 2015. Das Jahr mit den Rekordtemperaturen. Zumindest im Süden der Republik.
Doch heute herrscht auch hier im Norden allgemeine Hochstimmung und es kommt zum Ausnahmezustand. Grund dafür ist ein Naturschauspiel, was nur alle paar Jahre vorkommt. Wenn man Glück hat. Oder einen Rekordsommer verbuchen kann. Im Süden der Republik, wie gesagt.
Hamburg knackt die 20° C Marke.

Verspottet von den südlichen Bundesländern, die dieses Jahr schon seit Mitte Februar mit Temparaturen im subtropischen Bereich auftrumpfen können, lässt es der Spätzünder Hansestadt jetzt ordentlich krachen. 29°C von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, ohne (!) Regenunterbrechung. Der schiere Wahnsinn! Wind gibt es immer noch, ist allerdings auch notwendig, sonst könnte man vor lauter Hitze Hamburg mit einer Stadt im Mediterranen verwechseln. Wenn die Sonne so auf den Kopf knallt, nach der Regenzeit, ist ein Sonnenstich mit Schwindel und Halluzinogen-Effekt nicht weit hergeholt. Immerhin haben viele meiner bayrischen Facebookfreunde präventiv die Symptome und korrekte Erste-Hilfe-Maßnahmen für solche Fälle gepostet. Im Süden ist das anscheinend eine ernstzunehmende Sache.

Abgesehen von akuter Gesundheitsgefährdung durch die plötzliche Hitzewelle ist es wahrlich ein Freudentag für alle Fischköppe, die das Wort "Sommer" nur aus dem Duden kennen. Nicht umsonst steht im Selbigen unter dem Begriff "Hamburg": "Zweitgrößte Stadt Deutschlands; bekannt für Elbe, Michel und Schietwetter". 
Alle schmücken sich mit ihren schönsten und kürzesten Kleidern, Sonnencreme-Notstand im Budni, genauso wie Grillkohle und Biermixgetränke ausverkauft sind.
Für Menschen, die in der Hansestadt leben, ist es wirklich ein unglaubliches Glück, wenn sich die Sonne mal blicken lässt. Wie ausgehungerte Vampire pilgern dann alle ins Freie, noch scheu und etwas verängstigt vor dem gelben Ding, was so grell am Himmel blendet. Wenn sich die Augen dann an das helle Licht gewöhnt haben, sammeln die Hamburger in Cafés, Parks und an der Alster wie Frederik, die kleine Maus Sonnenstrahlen für die dunklen Tage. Also morgen. Und für die Tage nach morgen. Bis nächsten Juli. Dass es nämlich mal am Stück mehrere Tage hintereinaner sommerlich ist, kommt selten bis nie vor. Wenn die sonnenresistente Haut dann einige Blessuren von so viel plötzlichem Lichteinfall davonträgt, ist das von geringerer Bedeutung und diese werden gerne in Kauf genommen. Für diese seltenen Sonnenstunden, wo nur das Hier und Jetzt zählt. Wo man zur Glückseligkeit nicht mehr braucht, als ein gekühltes Bier, den Elbstrand und eine Bratwurst, die nur so herrlich schwarz gebräunt vom Einweggrill schmeckt. Mit Augen geschlossen den weichen Sand um die Füße spüren, den Möwen und dem Wasser lauschen und das Salz im Wind riechen. Und sich dann wieder umzuschauen und mit einem Lächeln die seligen Menschen zu betrachten. Man sieht ihnen die Dankbarkeit regelrecht in Ihren geröteten Gesichtern an, die sie voller Genuss gen Himmel strecken, bis die Sonne entgütlig untergegangen ist.

Man sagt ja, alle Städte sind schön(er) im Sommer. Aber Hamburg holt sich die Krone mit Leichtigkeit. Und das nicht überraschenderweise, sondern zurecht. Das Aschenputtel, das von der guten Fee "Sommer" für ein paar Stunden als Schönste unter den Städten tanzen darf. Bis Mitternacht. Dann werden die gläsernen Flip Flops wieder gegen Regenmantel eingetauscht.






Freitag, 7. August 2015

Wortwörtlich - oder: Was zählt, sind Taten / Worte sind Schall und Rauch





Heute: "Gegen den Strom schwimmen"


Es könnte der Beginn einer neuen Rubrik werden. Vielleicht. Zumindest denke ich gerade ernsthaft darüber nach.  

Mir kam der Einfall wie ein Geistesblitz. Nachdem diese mögliche Rubik "Wortwörtlich" heißen könnte, würde diese Tatsache lebensgefährliche Folgen für mich haben. Ich ziehe nämlich gerade meine Bahnen im Wasser der Hainbadestelle in Bamberg.
Hier kann man sich für einen schlappen Euro am kühlen Wasser der Regnitz erfrischen und wer sportlich versiert ist, sich an ihrer Strömung messen. Ich versuchte mich an Zweiterem und da kam er, besagter Geistesblitz.
In dem Fall, wie gesagt, weniger tödlich, als erhellend. Als wäre ich aus einem langen Koma erwacht, mit einer lebensweisenden Erkenntnis.

Die Strömung hier ist nicht reißend, ich hatte in der Kollegstufe den Grundkurs Schwimmen belegt und war immer im vorderen Mittelfeld dabei. Hatte zwar nie das Seepferdchen gemacht, würde nie vom 10-Meter-Brett springen. Dennoch. Mein Ehrgeiz war geweckt, zudem hatte ich heute, außer den Gang von Schreibtisch in die Küche und wieder zurück, mich noch nicht sonderlich viel bewegt. Also, auf in die Fluten!

Das Wasser ist klirrend kalt. Ich glaube, mein Herz erstarrt fast. Ein paar Momente später haben sich Körper und Geist an die frische Temperatur gewöhnt. Ich lasse mich zur nächsten Boje treiben, von dort starte ich mit meinen Schwimmzügen, Strom aufwärts, bis zur ersten Boje. Es sind vielleicht fünfzehn Meter (Anmerkung: Dinge, die Laura nicht kann #34: Schätzen (in besonderer Hinsicht auf Mengen- und Streckenangaben), #56: Ohne Kontaktlinsen gut sehen) und jetzt merke ich erst die Kraft, die mir entgegen schlägt. Für einen geschwommenen Meter werde ich zwei zurückgetrieben. Wenn ich den Fehler begehen sollte, mich zu schonen , meine Schlagzahl zu verringern, verliere ich allen Vorsprung, den ich mir so hart erarbeitet habe. Die anderen kommen mir gut gelaunt entgegen und paddeln leichtfüßig an mir vorbei. Ich komme kaum von der Stelle. Sie gucken mir verwirrt nach, als könnten sie nicht nachvollziehen, warum man sich den Stress und die Anstrengung überhaupt geben sollte, wenn es doch so herrlich erfrischend stromabwärts geht. Ein bemitleidenswerter Nichtschwimmer-Fischlein, wie Nemo, ohne Glücksflosse, trotzdem gut zu erkennen an der orange-weiß gestreiften Optik. (Mein Bikini unterbricht gekonnt die Noblesse meiner Haut.) Ich erhöhe meine Schlagzahl, um es ihnen zu beweisen. Ich werde diese Boje erreichen!

Kurz vor dem Ziel wird die Strömung am stärksten. Nicht aufgeben, noch einmal durchziehen, Endspurt, geschafft. Ich hänge an der gelben Zielgeraden, mein Puls ist hoch, genauso wie mein Atem und meine Stimmung. Fantastisch! Das Hochgefühl, wenn sich Anstrengung ausgezahlt hat. Du bist über dich ein kleines Stück hinaus gewachsen, hast durchgehalten, obwohl es weh getan hat. Die anderen haben geglotzt und sich treiben lassen, du bist dem entgegen gegangen. Gegen den Strom geschwommen. Vielleicht aus Trotz, vielleicht ist dieses Gefühl von Triumpf kindisch. Es fühlt sich trotzdem gut an. 

Ich habe mich wieder zurücktreiben lassen und dieses Prozedere noch zweimal wiederholt. Denn "Aller guten Dinge sind drei." - ein weiteres Wortwörtlich, was das Prädikat "wahr im wahrsten Sinne des Wortes" verdient. 

Es ist möglicherweise wirklich die Geburtsstunde einer neuen Rubrik. Nächstes Mal: "Leben wie die Made im Speck - ein Veggie Special".







Mittwoch, 5. August 2015

Tango Me Mucho! - oder: Eine Neuinterpretation von 'Dancing Cheek to Cheek'



Liebe Tanzbärinnen und Tanzbären,


vor knappen zehn Jahren habe ich von meinen Eltern zu Weihnachten einen Tanzkurs für Standard- und lateinamerikanische Tänze geschenkt bekommen. In meiner ersten Stunde verknallte ich mich sowohl in meinen Tanzpartner, als auch in die verschiedenen Tanzstile selbst. Zweitere Liebe hält bis heute an.
Es war eine tolle Zeit, in der wir uns regelmäßig zu Tanzparties am Samstag getroffen hatten. Der Eintritt kostete obligatorische zwei Euro, wir tranken Colaweizen, wenn wir uns einmal für fünf Minuten hinsetzten, weil wir den Rest der Zeit auf der Tanzfläche die neu erlernten Schritte üben wollten. Wenn ich eine Playliste von Liedern erstellen sollte, die immer wieder gespielt wurden, würde diese von Michael Jackson über die Wise Guys reichen und immer mit einem Wiener Walzer schließen. So war es damals Tradition. Das Abitur kam, ebenso wie die Volljährigkeit, man zog los in andere Städte. Tanzparties wurden durch gepflegtes Disco-Geshaker ersetzt. Ich habe es oft vermisst, das miteinander tanzen.

Jetzt nach einem knappen Jahrzehnt habe ich es wieder getan. Ich war tanzen. Tango tanzen.

Meine Mitbewohnerin geht wöchentlich zu einem offenen Tango Tanzkurs mit anschließendem Tanzabend und diesmal bin ich einfach mit.

Das Prinzip funktioniert so: Ab 18:30 Uhr kann man entweder für zwei oder eben eine Stunde später zum Unterricht kommen. Dort werden einem die absoluten Basics beigebracht. Im Kreis geht es reihum und die Männer wandern auch von Frau zu Frau. Feste Tanzpartner gibt es also nicht, was gleichzeitig bedeutet, dass man gar keinen braucht. Wunderbar! Wir versuchen uns also eine Stunde lang im Kreis in Gewichtsverlagerung und die Männer in Führungsqualitäten. Das kniffiligste dabei war für uns Frauen, sich mit dem Gewicht auf die Männer zu stützen und gleichzeitig Platz für die Füße zu bieten, gleich einem umgekehrten "V". Für mich, als Frau von gewisser Größe, zuzüglich die Extrazentimeter durch eine Tanzschuhe mit Absatz tragende Notwendigkeit, eine echte Herausforderung. Vor allem beim Rückwärtsgehen. ABER: Man spürt den Partner und seine Führung tatsächlich um Welten besser.
A propos spüren. Wir tasteten uns nach und nach weiter an den jeweiligen Tanzpartner ran. Zunächst legten wir uns die Hände gegenseitig auf das Dekoltee, dann in die klassische Tanzhaltung, alles kein Thema, alles schon einmal gemacht. Und dann der Showdown: "Abrazo".
Das bedeutet "Umarmung" und genauso wird getanzt: In inniger Umarmung, Wange and Wange, kein Blatt passt mehr zwischeneinander. Ich war sehr skeptisch, weil ich bei sehr nahen Berührungen doch zu Beginn eher schüchtern bin und Schweiß, Geruch und Nähe doch lieber mit Menschen teile, die ich zumindest etwas länger als ein paar 60 Minuten kenne. Unser Tanzlehrer erklärte uns, dass es im Tango um Respekt ginge und dass es an der Frau läge, wie nahe Mann ihr kommen dürfe. Er empfehle zwar die "Abrazo", weil das nun mal die typische argentinische Tangotanzhaltung ist und bleibt, aber selbstverständlich könne jeder so tanzen wie er und vor allem sie es wollte. Wir sollten uns einfach darauf einlassen und es in der anschließenden "Milonga", dem offenen Tango Tanzabend, einfach einmal ausprobieren.

Eine "Milonga" hat auch gewisse Regeln, beziehungsweise einen gewissen Usus, der immer in der gleichen Weise abläuft. Alle Damen und Herren sitzen in einem Raum. Es geht in eine erste Tangotanzrunde, die aus vier Tangos besteht, alle von jeweils einem berühmten Orchester oder Interpreten gespielt, die in Argentinien verehrt werden, wie hierzulande Beethoven und Bach. Der Mann oder auch die Frau fordert mittels Blickkontakt einen potentiellen Tanzpartner zum Tanzen auf. Wenn die Aufforderung erwidert wird, tanzt man zusammen ein Tangoquartett und trennt sich anschließend wieder, um sich einen neuen Tanzpartner zu suchen. Auch hier steht der Respekt an höchster Stelle. Wenn man nicht tanzen will, muss man auch nicht. Höflich ist es, die vier Tangos mit dem jeweiligen Partner zu beenden, nur falls es so gar nicht klappt, kann man sich schon vorzeitig trennen. Und ein klassischer Tango dauert meistens eh nicht länger als knappe drei Minuten, also muss man es im schlechtesten Falle nicht einmal eine viertel Stunde miteinander aushalten. Im besten Fall ist die Wartezeit bis zum nächsten gemeinsamen Tangoquartett die langwierigste.

Ich beschließe, mir die erste Tangorunde anzuschauen, um diese "Abrazo" aus sicherer Entfernung auf mich wirken zu lassen. Die Pärchen finden sich, Tanzhaltung eingenommen, Musik an.

Es war ein regelrechtes Aha-Erlebnis. Ich würde mich fast hinreißen lassen zu sagen, es war magisch. Da tanzten völlig Fremde miteinander, Wange an Wange, die Damen meist mit geschlossenen Augen in inniger Umarmung. Sie sahen aus, wie einsame Seelen, die sich für vier Tänze gegenseitig Wärme und Zuneigung schenkten. Melancholie küsst Leidenschaft, untermalt von argentinischer Musik aus den vierziger Jahren. Eine romantische Parnterschaft mit Countdown, in Speed Dating Geschwindigkeit. Ein absurdes Paradoxon, das dennoch noch nie mehr Sinn gemacht hat. Ich war völlig fasziniert und musste mich um diese Erfahrung bereichern.

In der nächsten Runde wurde ich zum Tanzen aufgefordert und ich ließ mich in der "Abrazo" fallen. Es war wunderbar. Mein Tanzpartner führte mich über das Parkett, ich folgte mit geschlossenen Augen seinen Bewegungen. Nicht alles klappte immer auf Anhieb, aber je mehr ich mich entspannte, desto besser spürte ich seine Impulse. Ich durfte mich für zwölf Minuten in die Arme eines Fremden begeben, seine Nähe spüren und gemeinsam den Moment und die Musik genießen. Nach vier Tangos bedankten wir uns für unsere Begegnung und trennten uns, kaum ein Wort miteinander gesprochen, aber doch kennen gelernt auf einer sehr subtilen Ebene.

Ich tanzte noch viele Male. Unser Tanzlehrer meinte, Tango tanzen mache süchtig. Vielleicht hat er Recht. Ich komme jedenfalls wieder nächste Woche.