Freitag, 11. September 2015

"Die Geschichte von Rotröckchen und dem bösen Lebkuchen" - oder: (K)ein winterlicher Einkauf im Spätsommer



Liebe Naschkatzen und Süßigkeitenvernichter,

 

es war einmal, an einem noch sehr warmen Tag im Spätaugust, ein rothaariges Mädchen, das Rotröckchen hieß. Sie lebte als freischaffende Künstlerin im fränkischen Hochland und reiste von Stadt zu Stadt, um die Menschen mit ihrem Spiel und Gesang zu unterhalten und dem Winter zu entfliehen, den sie so verabscheute. Sie zog, immer der Sonne folgend, wie die Zugvögel dort hin, wo es warm und wohlig war, dem Sommer entgegen.

Eines probenfreien Tages schlenderte sie durch die Straßen, beglückt über die vielen Sonnenstunden und die Sommerlaune der Menschen, als sie an einem aldidenten Supermarkt vorbei kam. "Hm...", dachte sich Rotröckchen, "ein wenig Hunger habe ich ja schon." Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz vor Mittag, die Uhrzeit, in der im fränkischen Hochland alle Menschen ihre Arbeit niederlegten und zum gemeinsamen Essen nach Hause gingen. Ihr Magen grummelte in appetitlicher Zustimmung und sie beschloss, sich zur Feier dieses wundervollen Sommertages einen riesigen Korb voller Köstlichkeiten zu kaufen. Schließlich kann man nie wissen, wann der Sommer vorbei war und außerdem könnte sie Großmutter noch ein paar YES-Törtchen und einen Tetrapack Rotwein mitbringen.
Beschwingt schlenderte Rotröckchen durch die Supermarktreihen und kaufte sich Bio-Tomaten, Salatgurke und Rapunzeln (die sie immer an ihre gute Freundin vom Schulaustausch erinnerten), einen abgepackten Käse vom Schaf aus dem Kühlregal und Wassermelone zum Nachtisch. "Jetzt noch die Sachen für die Großmutter", dachte sich Rotröckchen und biegte in den Süßwarengang ab. Und da sah sie es. Das Grauen in Tüten. Schön verpackt mit goldenen Sternen und in weihnachtlichem Rot. Lebkuchen, Zimtsterne, Spekulatius, Dominosteine und Stollen! Darüber ein Schild, ebenso in Rot plus Glitzersternen "Neu im Sortiment. Weihnachtsgebäck je 2,99 Euro". Rotröckchen konnte ihren Augen nicht trauen. Da stand sie mit ihrem leichten Sommerkleidchen, offenen Sandalen und Sonnenbrille im Haar. Das Sommerkind vor dem weihnachtlichen Schreckregal.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste zwar um den verfrühten Wahn mancher Leute, Lebkuchen schon Anfang Oktober zu naschen. Und auch sie mochte trotz Winterphobie zu dem ein oder anderen Plätzchen vor dem ersten Advent auch nicht Nein sagen. Aber doch nicht jetzt. Ende August. Bei den Temperaturen. Wenn es selbst ihr den Schweiß auf die Stirn treibt, sobald man die Haustür verlässt und zwei Schritte geht.
Übellaunig schnappte sich Rotröckchen eine Packung YES-Törtchen aus dem Regal, genau links neben den Weihnachtsleckereien und stapfte mit Unmut gekräuselten Lippen zu den Spirituosen. "Schnell noch den Rotwein und dann nichts wie weg hier.", schnaufte Rotröckchen. Raus ins Freie, wo es endlich wieder Sommer würde. Doch da sah sie schon die Glühweinflaschen, mit obligatorischem Weihnachtsmarkt-Cover, wohl präsentiert auf Augenhöhe. "Mir reicht's!", rief Rotröckchen und knallte das Einkaufskörbchen auf den Boden. "Wenn hier jetzt noch 'Last Christmas' gespielt wird, vergesse ich mich!" Sie griff nach dem Tetrapack mit Rotwein für Großmutter und einer Flasche Fairtrade Chardonnay für ihre Nerven und stürmte zur Kasse.
Sie stellte sich in die Reihe und betrachtete voller Ungeduld den Einkauf ihrer Vorgängerin. Eine etwas ältere Dame mit Wolfspelzapplikation an der Weste und Lebkuchen für 2,99 Euro im Korb. Rotröckchen grapschte hochatmig nach der ersten Chipstüte, die sie aus dem Aktionsstand neben der Kasse erreichen konnte. Es waren Rosmarinchips. "Perfekt.", dachte Rotröckchen triumphierend. "Das letzte Gewürz, das nach Winter schmeckt." Sie knallte der Kassiererin das Geld auf das Laufband, packte rasch alles zusammen und stolperte hektisch aus dem Supermarkt.
Auf dem Heimweg, hörte Rotröckchen zur Beruhigung "Summertime" auf ihrem iPod in Endlosschleife. Und nach ein paar Schlücken Wein und dem Geschmack von Rosmarinaroma kamen auch die sommerlichen Gedanken und ihr sonniges Gemüt langsam wieder zurück.

Und die Moral von der Geschicht': Lebkuchen im Spätsommer kauft man einfach nicht.






Dienstag, 1. September 2015

"Ein Sommernachtstraum" - oder: Hamburg im Sommer / Ein Nachruf




1. September. Der Sommer ist so langsam wohl offiziell vorbei. Ich schaue aus dem Fenster auf ein wolkiges Hamburg, das sich jede Minute in Regen mantelt und ich schwelge mit Wollsocken und Tee in Erinnerungen. An den Sommer, der sich sogar hier hoch oben im Norden ein, zwei mal hat blicken lassen.


Liebe Sonnenanbeter und Badenixen,


Hamburg, an irgendeinem historisch ereignisreichen Wochenende im Sommer 2015. Das Jahr mit den Rekordtemperaturen. Zumindest im Süden der Republik.
Doch heute herrscht auch hier im Norden allgemeine Hochstimmung und es kommt zum Ausnahmezustand. Grund dafür ist ein Naturschauspiel, was nur alle paar Jahre vorkommt. Wenn man Glück hat. Oder einen Rekordsommer verbuchen kann. Im Süden der Republik, wie gesagt.
Hamburg knackt die 20° C Marke.

Verspottet von den südlichen Bundesländern, die dieses Jahr schon seit Mitte Februar mit Temparaturen im subtropischen Bereich auftrumpfen können, lässt es der Spätzünder Hansestadt jetzt ordentlich krachen. 29°C von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, ohne (!) Regenunterbrechung. Der schiere Wahnsinn! Wind gibt es immer noch, ist allerdings auch notwendig, sonst könnte man vor lauter Hitze Hamburg mit einer Stadt im Mediterranen verwechseln. Wenn die Sonne so auf den Kopf knallt, nach der Regenzeit, ist ein Sonnenstich mit Schwindel und Halluzinogen-Effekt nicht weit hergeholt. Immerhin haben viele meiner bayrischen Facebookfreunde präventiv die Symptome und korrekte Erste-Hilfe-Maßnahmen für solche Fälle gepostet. Im Süden ist das anscheinend eine ernstzunehmende Sache.

Abgesehen von akuter Gesundheitsgefährdung durch die plötzliche Hitzewelle ist es wahrlich ein Freudentag für alle Fischköppe, die das Wort "Sommer" nur aus dem Duden kennen. Nicht umsonst steht im Selbigen unter dem Begriff "Hamburg": "Zweitgrößte Stadt Deutschlands; bekannt für Elbe, Michel und Schietwetter". 
Alle schmücken sich mit ihren schönsten und kürzesten Kleidern, Sonnencreme-Notstand im Budni, genauso wie Grillkohle und Biermixgetränke ausverkauft sind.
Für Menschen, die in der Hansestadt leben, ist es wirklich ein unglaubliches Glück, wenn sich die Sonne mal blicken lässt. Wie ausgehungerte Vampire pilgern dann alle ins Freie, noch scheu und etwas verängstigt vor dem gelben Ding, was so grell am Himmel blendet. Wenn sich die Augen dann an das helle Licht gewöhnt haben, sammeln die Hamburger in Cafés, Parks und an der Alster wie Frederik, die kleine Maus Sonnenstrahlen für die dunklen Tage. Also morgen. Und für die Tage nach morgen. Bis nächsten Juli. Dass es nämlich mal am Stück mehrere Tage hintereinaner sommerlich ist, kommt selten bis nie vor. Wenn die sonnenresistente Haut dann einige Blessuren von so viel plötzlichem Lichteinfall davonträgt, ist das von geringerer Bedeutung und diese werden gerne in Kauf genommen. Für diese seltenen Sonnenstunden, wo nur das Hier und Jetzt zählt. Wo man zur Glückseligkeit nicht mehr braucht, als ein gekühltes Bier, den Elbstrand und eine Bratwurst, die nur so herrlich schwarz gebräunt vom Einweggrill schmeckt. Mit Augen geschlossen den weichen Sand um die Füße spüren, den Möwen und dem Wasser lauschen und das Salz im Wind riechen. Und sich dann wieder umzuschauen und mit einem Lächeln die seligen Menschen zu betrachten. Man sieht ihnen die Dankbarkeit regelrecht in Ihren geröteten Gesichtern an, die sie voller Genuss gen Himmel strecken, bis die Sonne entgütlig untergegangen ist.

Man sagt ja, alle Städte sind schön(er) im Sommer. Aber Hamburg holt sich die Krone mit Leichtigkeit. Und das nicht überraschenderweise, sondern zurecht. Das Aschenputtel, das von der guten Fee "Sommer" für ein paar Stunden als Schönste unter den Städten tanzen darf. Bis Mitternacht. Dann werden die gläsernen Flip Flops wieder gegen Regenmantel eingetauscht.