Freitag, 7. August 2015

Wortwörtlich - oder: Was zählt, sind Taten / Worte sind Schall und Rauch





Heute: "Gegen den Strom schwimmen"


Es könnte der Beginn einer neuen Rubrik werden. Vielleicht. Zumindest denke ich gerade ernsthaft darüber nach.  

Mir kam der Einfall wie ein Geistesblitz. Nachdem diese mögliche Rubik "Wortwörtlich" heißen könnte, würde diese Tatsache lebensgefährliche Folgen für mich haben. Ich ziehe nämlich gerade meine Bahnen im Wasser der Hainbadestelle in Bamberg.
Hier kann man sich für einen schlappen Euro am kühlen Wasser der Regnitz erfrischen und wer sportlich versiert ist, sich an ihrer Strömung messen. Ich versuchte mich an Zweiterem und da kam er, besagter Geistesblitz.
In dem Fall, wie gesagt, weniger tödlich, als erhellend. Als wäre ich aus einem langen Koma erwacht, mit einer lebensweisenden Erkenntnis.

Die Strömung hier ist nicht reißend, ich hatte in der Kollegstufe den Grundkurs Schwimmen belegt und war immer im vorderen Mittelfeld dabei. Hatte zwar nie das Seepferdchen gemacht, würde nie vom 10-Meter-Brett springen. Dennoch. Mein Ehrgeiz war geweckt, zudem hatte ich heute, außer den Gang von Schreibtisch in die Küche und wieder zurück, mich noch nicht sonderlich viel bewegt. Also, auf in die Fluten!

Das Wasser ist klirrend kalt. Ich glaube, mein Herz erstarrt fast. Ein paar Momente später haben sich Körper und Geist an die frische Temperatur gewöhnt. Ich lasse mich zur nächsten Boje treiben, von dort starte ich mit meinen Schwimmzügen, Strom aufwärts, bis zur ersten Boje. Es sind vielleicht fünfzehn Meter (Anmerkung: Dinge, die Laura nicht kann #34: Schätzen (in besonderer Hinsicht auf Mengen- und Streckenangaben), #56: Ohne Kontaktlinsen gut sehen) und jetzt merke ich erst die Kraft, die mir entgegen schlägt. Für einen geschwommenen Meter werde ich zwei zurückgetrieben. Wenn ich den Fehler begehen sollte, mich zu schonen , meine Schlagzahl zu verringern, verliere ich allen Vorsprung, den ich mir so hart erarbeitet habe. Die anderen kommen mir gut gelaunt entgegen und paddeln leichtfüßig an mir vorbei. Ich komme kaum von der Stelle. Sie gucken mir verwirrt nach, als könnten sie nicht nachvollziehen, warum man sich den Stress und die Anstrengung überhaupt geben sollte, wenn es doch so herrlich erfrischend stromabwärts geht. Ein bemitleidenswerter Nichtschwimmer-Fischlein, wie Nemo, ohne Glücksflosse, trotzdem gut zu erkennen an der orange-weiß gestreiften Optik. (Mein Bikini unterbricht gekonnt die Noblesse meiner Haut.) Ich erhöhe meine Schlagzahl, um es ihnen zu beweisen. Ich werde diese Boje erreichen!

Kurz vor dem Ziel wird die Strömung am stärksten. Nicht aufgeben, noch einmal durchziehen, Endspurt, geschafft. Ich hänge an der gelben Zielgeraden, mein Puls ist hoch, genauso wie mein Atem und meine Stimmung. Fantastisch! Das Hochgefühl, wenn sich Anstrengung ausgezahlt hat. Du bist über dich ein kleines Stück hinaus gewachsen, hast durchgehalten, obwohl es weh getan hat. Die anderen haben geglotzt und sich treiben lassen, du bist dem entgegen gegangen. Gegen den Strom geschwommen. Vielleicht aus Trotz, vielleicht ist dieses Gefühl von Triumpf kindisch. Es fühlt sich trotzdem gut an. 

Ich habe mich wieder zurücktreiben lassen und dieses Prozedere noch zweimal wiederholt. Denn "Aller guten Dinge sind drei." - ein weiteres Wortwörtlich, was das Prädikat "wahr im wahrsten Sinne des Wortes" verdient. 

Es ist möglicherweise wirklich die Geburtsstunde einer neuen Rubrik. Nächstes Mal: "Leben wie die Made im Speck - ein Veggie Special".







Mittwoch, 5. August 2015

Tango Me Mucho! - oder: Eine Neuinterpretation von 'Dancing Cheek to Cheek'



Liebe Tanzbärinnen und Tanzbären,


vor knappen zehn Jahren habe ich von meinen Eltern zu Weihnachten einen Tanzkurs für Standard- und lateinamerikanische Tänze geschenkt bekommen. In meiner ersten Stunde verknallte ich mich sowohl in meinen Tanzpartner, als auch in die verschiedenen Tanzstile selbst. Zweitere Liebe hält bis heute an.
Es war eine tolle Zeit, in der wir uns regelmäßig zu Tanzparties am Samstag getroffen hatten. Der Eintritt kostete obligatorische zwei Euro, wir tranken Colaweizen, wenn wir uns einmal für fünf Minuten hinsetzten, weil wir den Rest der Zeit auf der Tanzfläche die neu erlernten Schritte üben wollten. Wenn ich eine Playliste von Liedern erstellen sollte, die immer wieder gespielt wurden, würde diese von Michael Jackson über die Wise Guys reichen und immer mit einem Wiener Walzer schließen. So war es damals Tradition. Das Abitur kam, ebenso wie die Volljährigkeit, man zog los in andere Städte. Tanzparties wurden durch gepflegtes Disco-Geshaker ersetzt. Ich habe es oft vermisst, das miteinander tanzen.

Jetzt nach einem knappen Jahrzehnt habe ich es wieder getan. Ich war tanzen. Tango tanzen.

Meine Mitbewohnerin geht wöchentlich zu einem offenen Tango Tanzkurs mit anschließendem Tanzabend und diesmal bin ich einfach mit.

Das Prinzip funktioniert so: Ab 18:30 Uhr kann man entweder für zwei oder eben eine Stunde später zum Unterricht kommen. Dort werden einem die absoluten Basics beigebracht. Im Kreis geht es reihum und die Männer wandern auch von Frau zu Frau. Feste Tanzpartner gibt es also nicht, was gleichzeitig bedeutet, dass man gar keinen braucht. Wunderbar! Wir versuchen uns also eine Stunde lang im Kreis in Gewichtsverlagerung und die Männer in Führungsqualitäten. Das kniffiligste dabei war für uns Frauen, sich mit dem Gewicht auf die Männer zu stützen und gleichzeitig Platz für die Füße zu bieten, gleich einem umgekehrten "V". Für mich, als Frau von gewisser Größe, zuzüglich die Extrazentimeter durch eine Tanzschuhe mit Absatz tragende Notwendigkeit, eine echte Herausforderung. Vor allem beim Rückwärtsgehen. ABER: Man spürt den Partner und seine Führung tatsächlich um Welten besser.
A propos spüren. Wir tasteten uns nach und nach weiter an den jeweiligen Tanzpartner ran. Zunächst legten wir uns die Hände gegenseitig auf das Dekoltee, dann in die klassische Tanzhaltung, alles kein Thema, alles schon einmal gemacht. Und dann der Showdown: "Abrazo".
Das bedeutet "Umarmung" und genauso wird getanzt: In inniger Umarmung, Wange and Wange, kein Blatt passt mehr zwischeneinander. Ich war sehr skeptisch, weil ich bei sehr nahen Berührungen doch zu Beginn eher schüchtern bin und Schweiß, Geruch und Nähe doch lieber mit Menschen teile, die ich zumindest etwas länger als ein paar 60 Minuten kenne. Unser Tanzlehrer erklärte uns, dass es im Tango um Respekt ginge und dass es an der Frau läge, wie nahe Mann ihr kommen dürfe. Er empfehle zwar die "Abrazo", weil das nun mal die typische argentinische Tangotanzhaltung ist und bleibt, aber selbstverständlich könne jeder so tanzen wie er und vor allem sie es wollte. Wir sollten uns einfach darauf einlassen und es in der anschließenden "Milonga", dem offenen Tango Tanzabend, einfach einmal ausprobieren.

Eine "Milonga" hat auch gewisse Regeln, beziehungsweise einen gewissen Usus, der immer in der gleichen Weise abläuft. Alle Damen und Herren sitzen in einem Raum. Es geht in eine erste Tangotanzrunde, die aus vier Tangos besteht, alle von jeweils einem berühmten Orchester oder Interpreten gespielt, die in Argentinien verehrt werden, wie hierzulande Beethoven und Bach. Der Mann oder auch die Frau fordert mittels Blickkontakt einen potentiellen Tanzpartner zum Tanzen auf. Wenn die Aufforderung erwidert wird, tanzt man zusammen ein Tangoquartett und trennt sich anschließend wieder, um sich einen neuen Tanzpartner zu suchen. Auch hier steht der Respekt an höchster Stelle. Wenn man nicht tanzen will, muss man auch nicht. Höflich ist es, die vier Tangos mit dem jeweiligen Partner zu beenden, nur falls es so gar nicht klappt, kann man sich schon vorzeitig trennen. Und ein klassischer Tango dauert meistens eh nicht länger als knappe drei Minuten, also muss man es im schlechtesten Falle nicht einmal eine viertel Stunde miteinander aushalten. Im besten Fall ist die Wartezeit bis zum nächsten gemeinsamen Tangoquartett die langwierigste.

Ich beschließe, mir die erste Tangorunde anzuschauen, um diese "Abrazo" aus sicherer Entfernung auf mich wirken zu lassen. Die Pärchen finden sich, Tanzhaltung eingenommen, Musik an.

Es war ein regelrechtes Aha-Erlebnis. Ich würde mich fast hinreißen lassen zu sagen, es war magisch. Da tanzten völlig Fremde miteinander, Wange an Wange, die Damen meist mit geschlossenen Augen in inniger Umarmung. Sie sahen aus, wie einsame Seelen, die sich für vier Tänze gegenseitig Wärme und Zuneigung schenkten. Melancholie küsst Leidenschaft, untermalt von argentinischer Musik aus den vierziger Jahren. Eine romantische Parnterschaft mit Countdown, in Speed Dating Geschwindigkeit. Ein absurdes Paradoxon, das dennoch noch nie mehr Sinn gemacht hat. Ich war völlig fasziniert und musste mich um diese Erfahrung bereichern.

In der nächsten Runde wurde ich zum Tanzen aufgefordert und ich ließ mich in der "Abrazo" fallen. Es war wunderbar. Mein Tanzpartner führte mich über das Parkett, ich folgte mit geschlossenen Augen seinen Bewegungen. Nicht alles klappte immer auf Anhieb, aber je mehr ich mich entspannte, desto besser spürte ich seine Impulse. Ich durfte mich für zwölf Minuten in die Arme eines Fremden begeben, seine Nähe spüren und gemeinsam den Moment und die Musik genießen. Nach vier Tangos bedankten wir uns für unsere Begegnung und trennten uns, kaum ein Wort miteinander gesprochen, aber doch kennen gelernt auf einer sehr subtilen Ebene.

Ich tanzte noch viele Male. Unser Tanzlehrer meinte, Tango tanzen mache süchtig. Vielleicht hat er Recht. Ich komme jedenfalls wieder nächste Woche.